Wie sollte ein gerechtes globales Lebensmittelsystem aussehen? Obwohl es theoretisch für alle genug zu essen gibt, leiden immer noch Millionen von Menschen unter Hunger und Armut. Wir sprechen mit Yvonne Takang von Aktion gegen den Hunger über das globale Ernährungssystem, Agrarökologie und warum das Wissen von lokalen Kleinbäuer*innen so wichtig ist.
Einer von zehn Menschen weltweit leidet an Hunger. Manche Expert*innen sagen, wir bräuchten die industrielle Landwirtschaft, um alle 8 Milliarden Menschen zu ernähren. Stimmen Sie zu?
Die Verbreitung der sogenannten „konventionellen Landwirtschaft“ hat zu einer weltweiten Massenproduktion geführt – die jedoch Nahrungsmittel mit viel weniger Mikronährstoffen produziert! Die industrielle Landwirtschaft setzt massiv Chemikalien ein und ist von langen Produktionsketten abhängig. Das ist schlecht für die Umwelt und schlecht für die Verbraucher*innen. Wir von Aktion gegen den Hunger sind der Meinung, dass es bessere Ansätze gibt, um gesunde Lebensmittel für alle Menschen zu produzieren
... zum Beispiel die Agrarökologie, eine Methode, die Aktion gegen den Hunger in verschiedenen Programmen weltweit fördert. Wie funktioniert sie?
Im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft fördert die Agrarökologie die Diversifizierung von Nutzpflanzen. Die meisten Menschen essen jeden Tag die gleiche Getreidesorte. In West- und Zentralafrika ist der sogenannte „versteckte Hunger“ sehr verbreitet: Die Menschen werden satt, ernähren sich aber so einseitig, dass sie trotzdem Mangelernährungserscheinungen haben. Vor allem für Kinder ist eine ausgewogene Ernährung sehr wichtig.
Wenn alle Landwirt*innen weltweit nur Agrarökologie betreiben würden, könnten wir dann genug Nahrung für alle produzieren?
Ja. Wenn die Politik die Agrarökologie vorantreiben würde, indem sie die Regierungen und die Bäuer*innen vor Ort richtig unterstützt, dann wäre es möglich. Wir müssten uns vollständig vom konventionellen Ansatz verabschieden und uns nur auf die Agrarökologie konzentrieren. Dann wären wir in der Lage, die Welt in einer Weise zu ernähren, die nachhaltig, umweltfreundlich, gesund und fair ist – für alle.
Können Sie uns einige Beispiele nennen?
In Kamerun haben wir ein Projekt, bei dem wir biologischen Dünger aus menschlichem Urin hergestellt haben. Sie können sich vorstellen, dass die Landwirt*innen erst einmal sehr zurückhaltend waren. Doch tatsächlich konnten wir die Ernten auf den agrarökologisch bebauten Feldern um 80 Prozent steigern!
In Burkina Faso haben viele Bäuer*innen große Probleme, weil durch die Folgen der Klimakrise die Ernten ausbleiben und sie ihre Familien nicht mehr ernähren können. Wir haben in unserem Projekt Bio-Düngemittel und nachhaltige Methoden der Bodenbearbeitung eingeführt – mit bestimmten Umgrabetechniken und Tiermist konnte die Bodenqualität maßgeblich gesteigert werden. Die teilnehmenden Bäuer*innen konnten ihre Erträge um bis zu 70 Prozent steigern!
West- und Zentralafrika ist bereits stark von der Klimakrise betroffen. Müssen die Menschen ihre landwirtschaftlichen Methoden anpassen?
Die meisten Kleinbäuer*innen sind noch nicht auf die Herausforderungen der Klimakrise vorbereitet. Sie versuchen immer noch, die gleichen Produkte anzubauen wie eh und je. Aber die Realität des Klimawandels ist bereits da. Im Senegal hatten wir die schwersten Überschwemmungen seit vielen Jahren. Die Pflanzensorten, die die Landwirt*innen vor über zehn Jahren anbauten, wachsen heute nicht mehr. Wir ermutigen sie, nachhaltigere Methoden anzuwenden, Wechselwirtschaft zu betreiben und Bio-Pestizide einzusetzen.
Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass das agroindustrielle System viel traditionelles Wissen über die Landwirtschaft zerstört hat. Traditionelles Saatgut hatte eine viel bessere Qualität. Wir müssen immer schauen, was für die Menschen vor Ort in ihrem spezifischen Kontext funktioniert – und sie am Ende entscheiden lassen.
Die Lebensmittelsysteme funktionieren heute global. Was sind die Folgen und was würden Sie gern ändern?
Die globalisierten Lebensmittelsysteme sind mitverantwortlich für Umweltzerstörung, den Zusammenbruch der biologischen Vielfalt und den voranschreitenden Klimawandel. Außerdem haben sie katastrophale soziale Auswirkungen, da sie den Reichtum in den Händen weniger Großkonzerne konzentrieren und gleichzeitig die Lebensgrundlagen von Kleinbäuer*innen zerstören.
Wie die jüngsten Krisen gezeigt haben, sind unsere Ernährungssysteme nicht widerstandsfähig. Sie bieten keine Antworten auf die aktuellen Herausforderungen der Ernährungssicherheit. Diese Systeme müssen überdacht werden. Politiker*innen müssen jetzt handeln und dabei die Bedürfnisse der Kleinbäuer*innen bedenken. Das öffentliche Interesse und die Menschenrechte müssen im Mittelpunkt der globalen Ernährung stehen.