Fokus: Vergessene Konflikte

Über welche Krisen und Konflikte sprechen wir, welche Kriege sehen wir täglich in den Nachrichten – und welche nicht? Kriegsverbrechen in der Demokratischen Republik Kongo, getötete Ortskräfte in Afghanistan oder das Mittelmeer als eine der tödlichsten Fluchtrouten weltweit: Millionen Menschen sind aufgrund dieser Kriege und Konflikte verfolgt, leben in Armut und Hunger – doch wahrgenommen werden sie in der Öffentlichkeit viel zu wenig.

Mit der Filmreihe Fokus: Vergessene Konflikte will das Human Rights Film Festival Berlin diese Krisen in den Mittelpunkt internationaler diplomatischer Bemühungen mühen, auf das tägliche Leid von Millionen von Menschen aufmerksam machen und ihre Geschichten erzählen.

Talk: Krisen-Hopping 

Kommentar Mohamed Amjahid

Kommentar

Afghanistan: Vom Westen mit selbstbewusstem Desinteresse vergessen 

Als Kabul im Sommer 2021 an die Taliban fällt werden viele Afghanen in ihrer Hoffnung auf Hilfe bitter enttäuscht. Recherchen zeigen wie wenig staatliche Stellen für afghanische Ortskräfte taten. Journalist Mohamed Amjahid hat dazu berichtet. Ein Kommentar. 

Ein Jahr Recherche zur Situation afghanischer Geflüchteter weltweit nach dem Rückzug des sogenannten Westens aus Afghanistan haben mir drei bittere Erkenntnisse klar gemacht: 

 

1. Die neokoloniale Haltung von Regierungen im Globalen Norden kümmert sich herzlich wenig um die Implikationen ihrer Politik im sogenannten Globalen Süden. Das kann man in Afghanistan gut beobachten. Nicht nur, dass die westliche Intervention dort von Anfang an mit scheinheiligen Argumenten durchgeführt wurde, sie wurde mit einem selbstbewussten Desinteresse für die Menschen im Land abrupt abgebrochen – obwohl klar war, dass nach dem Abzug eine Machtübernahme der Taliban drohen würde.

 

2. Wenn extremistische Gewalt marginalisierte Minderheiten oder Gesellschaften in der vom Kolonialismus definierten Peripherie trifft, dann interessieren sich die meisten Mächtigen im vermeintlichen Zentrum (also Europa und in den USA) herzlich wenig dafür. Islamismus ist beispielsweise nur dann ein Problem, wenn er „uns“ in „unserer Lebensweise“ bedroht. Trifft diese Gewalt afghanische Feminist*innen, Queers oder Demokrat*innen, kann das „Zentrum“ das durchaus hinnehmen. 

 

3. Europäische Werte machen einen Unterschied zwischen „guten Flüchtenden“ und „schlechten Flüchtenden“ und so passiert, was nicht passieren darf: Schutzsuchende werden gegeneinander ausgespielt. Dabei ist jede Menschenwürde unantastbar. So steht es zumindest auf Papier, das so viele politische Entscheidungsträger*innen nicht ernst nehmen. 

 

Ich erlaube mir, es etwas emotionaler zu formulieren: Was für eine Schande, wie vor allem deutsche und europäische politische Entscheidungsträger*innen mit dem Thema Flucht umgehen. Die europäische Abschottungspolitik ist für mich als Beobachter unerträglich, für Menschen auf der Flucht endet sie tödlich. Das muss aufhören. 

 

Flüchtende, egal ob aus afrikanischen Regimen, aus dem Nahen Osten oder eben aus Afghanistan werden als Objekte betrachtet. Diese Objekte kann man in der eurozentrischen Logik wahlweise den Taliban überlassen, im Mittelmeer ertrinken lassen oder schnell wieder abschieben in autokratische Regime, die im Rahmen der Internationalen Beziehungen zu Europa aufrechterhalten werden. Es braucht ein Umdenken, Protest und Solidarität mit den Betroffenen dieser Verflechtung von selbstzentrierter Außenpolitik, ausbeuterischen internationalen Beziehungen und dem Ergebnis eines normalisierten Rechtsrucks in Europa. 

 

Amjahids Recherche zur Lage Geflüchteter aus Afghanistan ist bei WDR5 als vierteilige Podcast-Serie und im SZmagazin als Longread verfügbar. 

10. OCTOBER 2022