Menschenrechte in Gefahr – Die Rückkehr der Geopolitik

Russlands Einmarsch und seine Folgen: Ein Blick in eine unsichere Zukunft, in der Klima-, Menschenrechte und der Kampf für Freiheit auf dem Spiel stehen.

Von Anna von Gall

Die Geopolitik ist zurück – so heißt es allerorten seit dem brutalen Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022. Mit der „Rückkehr der Geopolitik“ wird jedoch nicht nur die zynische Machtpolitik von Wladimir Putin und die harte westliche Antwort darauf mit Sanktionen, der Suche nach neuen Energielieferanten, Waffenlieferungen an die Ukraine und der Aufrüstung beschrieben, sondern auch der Machtkampf zwischen den USA und China um die Vorherrschaft im pazifischen Raum.


Eine neue Ära der kalten, rein interessengeleiteten Außen- und Sicherheitspolitik steht der Menschheit womöglich bald bevor. Eine Ära, in der Menschenrechte und sozial-gerechte Ressourcenpolitik weltweit noch stärker unter Druck geraten dürften, als es schon vor dem Kriegsbeginn in der Ukraine der Fall war. Das gilt für die Innenpolitik der Staaten, die – unter der Prämisse der eigenen Sicherheit – mit Populismus und dem Aufruf zur Abschottung Europas zum Erstarken rechter Parteien führt. Es gilt aber auch für die Außenpolitik, in der schnell das Interesse an guten Beziehungen zu einem Partnerstaat über das Ziel triumphiert, in diesem Staat Menschenrechte gewahrt zu sehen. Der Kalte Krieg, insbesondere in seinen ersten beiden Jahrzehnten, bietet das traurige Anschauungsmaterial dazu, wie die gerade anbrechende neue Ära der Geopolitik aussehen könnte.

Ohne den mutigen Kampf der Aktivist*innen rund um den Globus werden sich die Konzern- und Machtinteressen durchsetzen und Klima und Umwelt existenzielle Schäden erleiden.
Anna von Gall, Greenpeace

In Zeiten wie diesen dürfen wir zwei Dinge nicht vergessen. Erstens: Wir brauchen offene und diverse Gesellschaften, um den anderen großen Bedrohungen der Menschheit – der Erderhitzung und dem Verlust der Biodiversität – begegnen zu können. Ohne den mutigen Kampf der Aktivist*innen rund um den Globus werden sich die Konzern- und Machtinteressen durchsetzen und Klima und Umwelt existenzielle Schäden erleiden. Zweitens: Frieden und wahre Sicherheit, d. h. Sicherheit für alle Menschen und vom einzelnen Menschen aus gedacht, kann es nur geben, wenn die Rechte der*des Einzelnen gewahrt sind. Soziale Rechte, Geschlechtergerechtigkeit, das Recht auf Leben in einer gesunden Umwelt, das Recht auf Zugang zu Bildung, das Recht auf Unversehrtheit, freie Meinungsäußerung und Menschenrechte: All diese Aspekte sind die Grundlage für eine aktive und starke Zivilgesellschaft.

Frieden und wahre Sicherheit kann es nur geben, wenn die Rechte der*des Einzelnen gewahrt sind.
Anna von Gall, Greenpeace

Greenpeace hat im jahrzehntelangen Kampf der Organisation für Umwelt und Frieden davon profitiert, dass andere zuvor das Fundament für eine starke Zivilgesellschaft und damit für unsere Proteste und Aktionen erkämpft haben. Es ist einer unserer Grundwerte, mit unserer Arbeit dazu beizutragen, dieses Fundament zu erhalten und zu stärken. Die Versenkung unseres Schiffs Rainbow Warrior, das für den Protest gegen französische Atombombentests zum Einsatz kam, durch den französischen Geheimdienst im Jahr 1985, bei der unser Aktivist Fernando Pereira getötet wurde, mahnt uns, wie kostbar und fragil die Gesellschaften sind, in denen wir leben und kämpfen.

Die „Rückkehr der Geopolitik“ ist eine direkte Bedrohung der Gesellschaften, die heute in Freiheit leben und Unterdrückung und Unfreiheit überwinden wollen. Die Filme beim Human Rights Film Festival Berlin, die vom Kampf so vieler mutiger Menschen für die Wahrung der Menschenrechte berichten, sind Inspiration und Mahnung zugleich. Sie zeigen, was für so viele Menschen noch erreicht werden muss, und sie mahnen, was zu verlieren ist.

Über die Autorin:

Anna von Gall ist Politik-Campaignerin bei Greenpeace und leitet das europäische Projekt „Climate for Peace“.

21. SEPTEMBER 2023