Sajid muss vor den Taliban nach Europa fliehen. Doch auch hier findet er keinen Schutz. „The Mind Game“ zeigt die Gewalt gegen flüchtende Kinder. Und wirft die Frage auf: Was zählt – Europas Humanität oder mehr Abschottung?
Sajid Khan Nasiri, ein 14-jähriger Junge aus Afghanistan, wird eines Morgens von seiner Mutter geweckt, die ihm voller Sorge erklärt: „Du musst fliehen, sonst werden die Taliban dich finden und sie werden dich töten, wie sie deinen Vater getötet haben.“ Sajid trifft die Entscheidung, den Weg nach Europa zu versuchen, in der irreführenden Hoffnung, dass er dort leicht Einlass und Schutz finden könnte. Es dauert nicht lange, bis der Junge erkennen muss, dass ihn diese Wahl in das gefährlichste Spiel seines Lebens stürzen wird.
Die Geschichte von Sajid, die im Film „The Mind Game“ anschaulich illustriert wird, zeigt, mit welchen Herausforderungen geflüchtete Kinder konfrontiert sind, die nur eines suchen: Sicherheit. Ihre Flucht nach Europa ist meist mit extremer Gewalt, Ohnmacht und Abhängigkeit von Dritten verbunden. Es mangelt an grundlegenden Strukturen, die eine sichere und reguläre Einreise in die EU ermöglichen und insbesondere Kinder auf der Flucht vor extremer Gewalt und Ausbeutung schützen. Auch ein auf Kinder ausgerichtetes Asylsystem und Erwachsene, die sie in dieser Extremerfahrung kindgerecht begleiten, sind nicht vorhanden.
Die Erlebnisse von Sajid sind realistische Abbilder der Erfahrungen, die hunderttausende Kinder auf ihrer Flucht nach Europa machen.„The Game, das Spiel“ – so bezeichnen Kinder wie Sajid den Versuch, an Grenzpolizist:innen vorbei in die EU zu gelangen. Angst und systematische Gewalt sind fester Teil dieses grausamen „Spiels“. In „Wherever we go, Someone does us Harm“, einem Bericht von Save the Children, berichten diese Kinder von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt. Staatliche Akteure wie Grenzpolizisten sind oft Täter. Die EU toleriert solche Verstöße, um Abschreckung zu fördern.
Auch Sajids Erfahrungen in Belgien ähneln deutschen Zuständen: Sammelunterkünfte bieten wenig Raum für Bildung, Spiel und Schutz. Die langwierigen und bürokratischen Prozesse haben insbesondere auf die psychische Gesundheit der Kinder einen fatalen Einfluss, psychosoziale Unterstützungsangebote sind für geflüchtete Kinder wiederum kaum vorhanden.
Die systemischen Mängel sind uns in Deutschland seit langem bekannt. Und trotzdem hat der Film gerade jetzt eine besondere Aktualität: Die EU und ihre Mitgliedstaaten verhandeln derzeit über die Reform des neuen, gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Dabei ist der Kurs deutlich: Die Mauern sollen noch weiter nach oben gezogen werden. So soll der Zugang zum individuellen Asyl noch weiter erschwert, der Grenzschutz weiter ausgebaut und die Möglichkeit geschaffen werden, dass Kinder im sogenannten Grenzverfahren in Grenzlagern untergebracht werden können – also unter haftähnlichen Zuständen leben müssen.
Wir stehen in Europa an einem Scheideweg. Denn je höher die Mauern der Festung Europas werden, desto gewaltvoller wird das Spiel bei der Überwindung dieser – und desto schwerer werden es Kinder wie Sajid haben. Am Ende stellt der Film die Frage: Was ist uns Humanität wert?
Autor: Marvin McNeil, Advocacy Manager Flucht & Migration, Save the Children Deutschland